Endlos sind die Diskussionen, tief die Überlegungen, was denn „echt“ oder „authentisch“ sei, wenn es um menschliches Sein oder Verhalten geht. „Sei du selbst“ ist das Imperativ seit dem Tod Gottes (jener Metapher, die Nietzsche für den von der Aufklärung befeuerten Wandel weg von der Anbetung des alten Jahwe hin zu der des Menschen verwendete, mit all ihren Konsequenzen wie der Postmoderne und der Sinnleere: nun ist es der Mensch, der sich in sein Ideal transformieren muss, wo immer dieses an- oder festgelegt ist, oder sich, falls nichts an- oder festgelegt ist in irgend einem unbekannten Space, halt optimieren muss, ersatzweise, und nicht mehr der Weg zu Gott hin, den er oder sie gehen muss). Irgendwo, so die implizite Annahme, gibt es in uns eine Art platonisches Idealbild (oder eine sterbliche oder unsterbliche Seele), und wenn wir aus diesem sprechen, oder mit diesem identisch sind, sind wir wir selbst, mithin echt und authentisch.
Feister Anspruch, das. Wenn wir eines nicht kommen, dann authentisch rüber (nimm dies, OpenAI Bot!). Authentizität wird gerne gefakt. Und ohnehin überlagert sie sich mit unserer jeweiligen (sub-)kulturellen Prägung, unserer genetischen Anlage, unseren Traumata. Es ist anders, chinesisch authentisch zu sein als türkisch, und Punk hat eine andere Authentizität als Bank. Es gibt also jeweils ein kulturelles oder subkulturelles Leitbild der Authentizität, an dem wir uns orientieren.
Nun sagt man, es gäbe nur eine Wahrheit, aber viele Lügen. Dem naheliegenden Gedanke, man könne mit oder in dieser Wahrheit leben, sie gar immer sagen, steht meistens ein zu schwacher eigener Charakter gegenüber – und ebenso die Tatsache, dass man als Nerd rüberkommt, wenn die permanent geäußerten Wahrheiten soziale Protokolle ignorant überschreiben. Dennoch – wie alles hier ist das meine persönliche Meinung (s. Sektion Modell der Modelle für eine Übersicht, was ich von den Begriffen „persönlich“ und „Meinung“ halte) – ist eine wahrhaftige Haltung erstrebenswert. Lügen haben kurze Beine und fallen einem am Ende immer auf die Füße (auch wenn man manchmal lange darauf warten muss). Natürlich, ich finde ehrliche Menschen großartig und bewundernswert und möchte selbst einer werden.
Darum geht es hier aber nicht. Das war nur die Einleitung. In der ich versucht habe zu sagen: „ich möchte mich um die Definition der Konzepte Wahrheit und Lüge bzw. Authentizität und Fake drücken“.
Hier geht es um die Welt des Fake. Gesellschaft besteht aus einem Netz von Lügen. Social Media als Abart (im Sinne von „abartig“) davon noch viel mehr. Jetzt überschwemmt uns die KI, die generative, mit ihrer wahnwitzigen Produktivität: sie generiert noch mehr Unsinn als wir (sie hat gut von uns gelernt).
Viele Künstlerinnen und Künstler haben mit Identitäten und der Transformation zwischen ihnen gespielt (David Bowie und Genesis P-Orridge fallen mir sofort ein). Sie sind nicht auf die Idee einer einfachen Wahrheit hereingefallen.
Und jetzt gibt es auch endlich eine App dazu (wahrscheinlich habe ich schon 30 ähnliche übersehen, ich schaue da nicht so oft rein, in die Stores): BeFake AI. Eine Social Media App, ein Instadings oder Fakebook oder TikTok, nur dass der Fake eingebaut – als grundlegendes Prinzip und gar nicht abschaltbar – ist: es geht gar nicht mehr darum, so zu tun, als hätte man in Barcelona oder auf Bali eine geile Zeit oder sei voll zufrieden mit dem Team Event seiner Startup-Klitsche. Jedes Selfie wird durchgeDALLEt, denn die App hat richtig erkannt: Fakismus ist das Prinzip, das schon immer da war, seit es Menschen gibt.