Vorwort

– ein Plädoyer für Ströme und Rhizome, Bohren statt Bauen, Unvollständigkeiten

Wie wird in der Welt des geisteswissenschaftlichen Denkens vorgegangen? Von Punkt x (dem biographisch-memetisch-genetisch-kontingenten irren Ausgangspunkt) denken wir in eine oder mehrere Richtungen und enden an den Punkten y1, y2, … oder/und yn (der falschen Annahme, wir würden eine Karte zeichnen, sei gleich vehement widersprochen: eine Karte kann nie mehr sein als eine diskrete Menge eben jener Punkte: sie erzeugt nur die Illusion einer Kontinuität): ausgezeichnet, eigentlich: die Punkte x und y sind Koordinaten eines multidimensionalen, nicht-kartesischen, beliebig abstrakten Raums (der gedacht wird von Hirn, Bauch und neuerdings Netz), der sich aus Schichten unterschiedlicher Materialien unterschiedlicher Dichten konstituiert, die unterschiedliche Geschwindigkeiten, Wahrheiten, Teilmengen und vergleichbaren auf verschiedenen ontologischen Stufen stehenden Kategorien ermöglichen, bedingen oder erfordern: es ist auch gleichzeitig der Raum aller existierenden Ideen (gibt es Ideen, die nicht existieren?), aller kontingenten Möglichkeiten (gibt es nicht-kontingente Möglichkeiten?), aller Emergenzen (was heißt hier “geben”?: mithin existiert der Raum also noch nicht, letztere spannen ihn auf und ermöglichen sich gleichzeitig in ihm, autopoietisch), in dem das Denken existiert und sich in einer stetigen oder unterbrochenen Linie von x nach y bewegt (ganz gleich ob y vorher existierte – dann war das Denken ein Lernen: oder ob es durch den Prozess erschaffen wurde: dann war das Denken ein Schaffen: wie in einer Philosophie, die einen Begriff erzeugt hat: so abstrakt sei der Raum, dass ein Begriff eher ein Ding als ein Verweis ist).

Und es ist auch der erweiterte Raum, der die Dimensionalität selbst (s. (Für) wahr genommene Grundgrößen) als einschränkende Metrik verlassen hat (und danach (nicht im zeitlichen Sinne) auch die Metrik der Erweiterung – wir werden später sehen, warum diese eine Einschränkung, wenn es um die abstraktesten aller Räume, die wir nur als Nicht-Räume, was ihnen ebenfalls Unrecht tut, bezeichnen können, geht, ist).

Alle Denkenden erreichen in ihrem Denkprozess also einen Punkt y (praktisch, dass auch ein Nicht-Punkt (ein Irrtum zum Beispiel, oder eine Verzweigung, eine Leere, ein Nicht-Punkt im weitesten Sinne) ein Punkt ist, wenn nur die Dimensionalität groß genug gewählt ist: eine Freiheit, die wir uns hier nehmen dürfen, weil wir ohnehin konzeptionell (und nichts weiter) unterwegs sind): vielleicht ist der Weg, den sie dorthin gebaut haben, so schlecht konstruiert, dass der erreichte Ort nicht interessant ist und in einem unbrauchbaren (für wen? – für die lesende Person, vielleicht auch für die denkende – also auch hier: relationen) Verhältnis zur Denkmotivation steht: vielleicht wurde er schon besucht oder vorher erzeugt: was auch immer: da ist er. 

Nun wird in der Literatur oft Kritik geäußert, wenn der Weg dorthin nicht sauber gebaut sei, der Punkt nicht interessant genug, oder – noch häufiger, noch alberner – nicht noch ein Stück des Weges weiter gegangen worden sei: als gäbe es eine Person, die irgend einen Weg zu ende gegangen sein könnte: das ist logisch nicht möglich: der Vorwurf haltlos, weil: unendliche Skala.

Aus Redlichkeit, Eitelkeit, Scham oder weil es so gelernt wurde, versuchen wir uns im Bauen von Systemen/kontinuierlichen Karten: und auch wenn sie noch so verkrüppelt sind, verteidigen wir sie (den wir haben uns an sie gebunden). Wäre es nicht schön, wir würden uns 1. nicht zur Erstellung von Systemen zwingen, sondern mit Strömen (aus Gedanken) zufriedengeben und 2. nicht an sie binden, sondern sie, einmal gedacht und beschrieben, loslassen, auf dass die Welt mit ihnen verfahre wie sie will? Andere nach uns könnten den Strom beenden, weil es nirgendwo hinführt, sich nichts mit ihm koppeln lässt, er banal oder langweilig ist; oder ihn fortsetzen, entwickeln, andere Ströme aus ihm entspringen lassen, weitere in ihn fließen lassen …

Wie entspannt, wie schnell, wie kollaborativ wäre solch ein Ansatz (und rückblickend: wie lächerlich die Konkurrenz zwischen den Reduktionen, die jede Wissenschaft, jede Begriffsbildung darstellt, wenn sie aus der Realität ein Klassenspiel machen)? Diese Schrift versteht sich so: jeder Zweig, jeder Strang, jeder Strom darf gestoppt, verworfen, manipuliert, geändert, abgeschwächt, umgeleitet, verstärkt, gefärbt, entnormt, erweitert werden: alles. Niemand wird dabei verletzt. Irgendwann erreicht die Zahl die der Wikipedia, und kein Mensch steckt mehr erkennbar hinter den Zeilen: die Schrift wird so wie die Welt des Wissens ohnehin schon ist: unpersönlich im besten Sinne. Warum dagegen angehen?

Linear-schriftlich (Buch, Artikel) lassen sich Abzweigungen schlecht abbilden (wie schwach sind die Möglichkeiten von Fußnoten oder Verweisen): Hypertext ist besser, aber unslesbar, unelegant: also folgen wir einfach den Strömen.

Alles Geschriebene ist nur so-und-so weit durchdacht. Wie – gleich zu Beginn eine Entschuldigung? Auch noch eine generische? Verträgt der Autor keine Kritik?

Vertragen ist eines, keine Lust haben ein anderes. Es folgt eine Alternative.

Bei Trollen hört der Spaß auf – alles vorher sei von nun an nicht nur erlaubt, sondern erwünscht: es sei nicht mehr die Idee, Meinungen zu “verteidigen”: es sei schon in die Struktur des Diskurses eingebaut, dass jede Aussage höchstwahrscheinlich vollkommen oder teilweise falsch, nicht umfassend, nicht weit genug gehend, nicht ausreichend begründet, wesentliche Argumente nicht berücksichtigend oder ausklammernd ist: das ist ohnehin die Normalform eines jeden Diskurses seit der Antike: warum ihn nicht in den Stand des Erkannten, des Erwarteten erheben: was nicht den Anspruch an die Qualität des eigenen Räsonierens einschränken soll: was aber das Klammern an das eigene Wort von gestern lösen soll: die Annahme von Kritik, die Akzeptanz der eigenen Unzulänglichkeit.
Dieses Dunning-Kruger-Gefühl einer Vollständigkeit: weg damit: und nein, wir machen nicht die Lücke zur Methode, sondern wissen, dass geschlossene Flächen und konsistente Systeme Illusionen sind, dass Konsistenzen innen und nicht außen sitzen …